Offenbach, den 27.9.1946 - Abschrift- Auf Vorladung erscheint der Tiefbauingeneur Wilh. Heinr. Barth geb. am 17.11.06 in Langen, Obergasse 8. Mit dem Gegenstand seiner Vernehmnung bekannt gemacht und zur Wahrheit ermahnt, erklärt zur Sache folgendes:
Am Tage des Synagogenbrandes gegen 7.30 Uhr wurde ich durch telefonischen Anruf der Kreisleitung Offenbach a/M aus dem Schlaf gerissen und von dem Kreisleiter Walter befragt, ob die Synagoge brenne. Auf meine erstaunte Frage, warum die Synagoge brennen solle, wurde Walter laut und erregt, dass ich seinen Befehl noch nicht durchgeführt hätte. Ich erklärte ihm, dass ich am Tage vorher auswärts gewesen und in der Nacht spät heimgekommen sei, keinen Befehl erhalten hätte und mithin von nichts wüsste. Walter schallt mich am Telefon eine Schlafmütze und befahl mir innerhalb einer halben Stunde auf der Kreisleitung in Offenbach zu erscheinen. Ich fuhr darauf mit meinem eigenen Wagen sofort nach Offenbach zur Kreisleitung, wo mir Walter wiederum Vorwürfte machte, wegen der nicht pünktlichen Ausführung seines gegebenen Befehls und erst als ich ihm die näheren Umstände erklärte, wurde er ruhiger. (Ich war am Tage vorher zu einer Hochzeit-Vorfeier in Frankfurt a/M geladen, und kam von derselben sehr spät zurück.) Er eröffnete mir in kurzen Zügen seinen bereits am Vortage durchgegebenen Befehl, welcher lautete:
1) die Synagoge durch Feuer restlos zu zerstören
2) die Einrichtungen der jüdischen Wohnungen zusammenzuschlagen
3) die Juden selbst können dabei so geschlagen werden, dass sie einen ewigen Denkzettel davontragen würden. Nur dürfe dabei kein Todesfall eintreten.
4) der jüdische Hausbesitz sei sofort in arischen Besitz zu überführen und dabei wären grössere Gewinne der Juden zu vermeiden.
Ich bat, mir diesen Befehl schriftlich zu geben, weil ich bei anderen Anlässen früher schon die Feststellung machen musste, dass Walter, wenn er zur Verantwortung gezogen wurde, für seine Befehle nicht grad stand. Aus bestimmten Gründen vermutete ich eine Falls. Er eröffnete mir in sehr bestimmten Ton, das seine mündlich gegebenen Befehle als Kreisleiter auszuführen seinen. Daraufhin wurde ich von ihm entlassen. Beim Verlassen der Kreisleitung machte ich mir Gedanken über diesen Befehl und dessen Durchführung. Es kamen mir Zweifel auf und um dieselben zu zerstreuen, fuhr ich in Offenbach in das Stadtzentrum um festzustellen, ob diese Befehle betreff Synagogenbrand usw. bereits durchgeführt worden seien. Vor einem jüdischen Kaufhaus war ein grosser Menschenauflauf und aus dem Innern des Kaufhauses wurden durch die Fenster der verschiedenen Stockwerke allerlei Waren und verkäufliche Gegenstände auf die Strasse geworfen. Ich musste also erkennen, das die Befehle Walters schon in Durchführung waren. Darauf trat ich die Heimfahrt an.
Ich entschloss mich, mit dem Bürgermeister Göckel, mit dem ich wegen eines grösseren Parteigerichtsverfahrens in Spannung lebte, über die Walterschen Befehle zu sprechen. Ich fuhr zunächst zum Rathaus und suchte Göckel in seinem Amtszimmer auf. Göckel erklärte mir kurz, dass er über alles unterrichtet sei und dass auch alles bereits "rollen" würde. In dieser Zeit ertönte, soweit ich mich erinnern kann, die Feuersirene. Ich verliess G. sofort und fuhr zur Synagoge, wo ich feststellen konnte, dass die Flammen bereits aus dem Dach herausschlugen und die Inneneinrichtung ausgebrannt war. Die Feuerwehr stand in der oberen Dieburgerstrasse bezw. Hügelstrasse untätig. Als Baufachmann musste ich es bedauern, dass das wertvolle Material unnütz verbrannt werden sollte. Ich sprach deshalb mit den Feuerwehrleuten, dass sie mit den Löscharbeiten sofort beginnen sollten. Es wurde mir geantwortet, das sei Sache des Bürgermeisters die Löscharbeiten zu befehlen. Ich konnte jedoch als zuständiger Baumeister der Stadt Langen durchsetzen, dass sofort mit dem Löschen begonnen wurde. Als später der Bürgermeister am Brandort erschien, machte er mir zunächst Vorwürfe, dass man nur unnötige Arbeit mit den stehengebliebenen Ruinen hätte, es sei viel richtiger gewesen alles abbrennen zu lassen. Göckel frug mich, wer nun die Abbruchskosten übernehmen würde, denn so könnte der Rest der Synagoge nicht stehen bleiben. Ich selbst machte ihn auf die erhöhte Einsturzgefahr aufmerksam und hielt Absperrungsmassnahmen für erforderlich um Unfälle zu vermeiden. Göckel sagte dann, dass die Synagoge abgebrochen werden (solle) und die Stadt Langen das Gelände und das anfallende Material übernehmen würde. Ich liess noch am selben Tage die bei der Stadt beschäftigten Bauarbeiter mit dem Abbruch beginnen. Später war ich dann in der Eigenschaft als Stadtbaumeister bei einer Kaufverhandlung mit (einem) Vertreter der israelitischen Religionsgemeinde Mainz, die im Langener Rathaus stattfand, zugegen.
Nach meiner Feststellung scheint der damalige Hausmeister der Wallschule, Peter Sehring, als der eigentliche Brandstifter in Frage zu kommen. Sehring hat es mir gegenüber allerdings nie zugegeben. Festgestellt habe ich weiter, dass am Vorabend des Synagogenbrandes, an dem ich wie bereits erwähnt, aus Langen abwesend war, Befehle von der Kreisleitung an die Ortsgruppe und von den SA- und (NSKK-) Dienststellen an die örtlichen Einheiten gegeben waren. Ausserdem (war) die Polizei informiert, gegen Demonstranten nicht einzuschreiten, was ich von Herrn Gendarmeriemeister Arzt am Tage des Synagogenbrandes erfuhr.
Ich möchte noch bemerken, dass ich für die ganze Aktion kein Verständnis aufbringen konnte, dass ich aber andererseits nicht in der (Lage) war sie zu verhindern, weil ich erkennen musste, dass diese Massnahme offensichtlich auf höchste Anweisung durchgeführt wurde. Ein (Verhindern) des Synagogenbrandes war mir schon deshalb unmöglich, weil ich in Langen erst eintraf, als die Synagoge schon brannte.
Über die bereits zerstörte Inneneinrichtung der Synagoge kann ich folgendes aussagen: Der HJ Führer Gustav Beck hatte mir einmal den Vorwurf gemacht, dass ich nicht verstünde der HJ geeignete Aufgaben zu geben. Er kam dabei auf die ihm notwendig erscheinende Zerstörung der Synagoge zu sprechen. Ich setzte ihm damals auseinander, dass derartige Aktionen unsinnig seien. Eines Tages wurde mir dann gemeldet, dass die Synagoge im Innern vollständig zerschlagen sei. Soweit ich mich erinnere, war dies nachts geschehen. Ich weiss aber noch (bestimmt), dass auch am Tage nach der erfolgten Zerstörung der Inneneinrichtung Jugendliche weiterhin sich in der Synagoge herumtrieben und dort (mit) den Zerstörungen fortfuhren. Ich habe damals veranlasst, dass die (zer-)schlagenen Türen instandgesetzt bezw. der Eingang der Synagoge (behelfs-)mässig verschlossen wurde. Dies ist durch Städtische Arbeiter erfolgt. Ich musste von dem Kreisleiter Walter zunächst heftige Vorwürfe einstecken. Er erklärte mir, dass er dies zum Anlass nehmen würde, um (mich) endgültig fertig zu machen (wörtlich gebrauchte er die Worte: ich (mache) Sie noch zur Sau). Als Walter dann nach Langen kam und die Zerstörung ansah, fing er zunächst laut zu lachen an. Dann fiel ihm aber ein, dass der Gauleiter evtl. diese Massnahmen nicht billigen würde, (...) er mich wieder erneut mit Vorwürfen bedachte, obwohl ich mit der ganzen Aktion nichts zu tun hatte, sondern im Gegenteil stets verhindert habe, dass an der Synagoge und auch an dem israelitischen Friedhof irgendwelche Zerstörungen vorgenommen werden. Ich erinnere mich (noch), dass der damalige Gauleiter Sprenger diese Zerstörungen stillschweigend duldete. Beim nächsten Appel der Ortsgruppenleiter in Offenbach lobte Walter jedenfalls dann bezeichnenderweise die in Langen (erfolgte) Zerstörung der Inneneinrichtung der Synagoge und stellte die (Tat) hierbei als Vorbild hin.
Es steht für mich einwandfrei fest, dass die Hitlerjugend von Langen die Inneneinrichtung der Synagoge, soweit es die Bänke, Schränke, Stühle usw. betrifft, zerschlagen hat. HJ Führer waren damals: Gustav Beck, ihm übergeordnet Heinrich Dietzel und soviel ich mich erinnere, als Verstreter von Gustav Beck, Schlapp, der bei der Bezirkssparkasse in Langen beschäftigt war. Es ist mir nicht bekannt, dass am Tage des Synagogenbrandes nochmals Einrichtungsgegenstände zerschlagen wurden. Ich halte dies auch für ausgeschlossen. Ferner möchte ich noch ausdrücklich erklären, dass durch mich vor dem Synagogenbrand keinerlei Abbruchsmassnahmen angeordnet wurden. Ich habe dieselben erst durchgeführt, nachdem Bürgermeister den Abbruch verfügte. Dies entspricht auch vollkommen meinem Dienstverhältnis als Stadtbaumeister, weil ohne Genehmigung des Bürgermeisters der Einsatz von städtischen Bauarbeitern an der Synagoge sonst von der Stadtkasse nicht bezahlt worden wäre. Dieses ist die reine Wahrheit, weitere Angaben kann ich nicht machen.
Barth wurde am 25.2.1948 vom Landgericht Darmstadt zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er bewirkte später eine Wiederaufnahme des Verfahrens, und am 24.9.1952 wurde die Strafe auf acht Monate Gefängnis reduziert.