Im November 1910 war einiges los auf Schloß Wolfsgarten. Bis zum 14. November war der
Zar samt Familie zu Besuch. Am 3. November
macht er einen Abstecher nach Potsdam zu Kaiser Wilhelm ("Potsdamer Entrevue"), der wiederum zum Gegenbesuch
auf Wolfsgarten am 11. November eintraf (wie lange, ist nicht ganz klar). Die dunklen Wolken eines drohenden Krieges waren über Europa aufgezogen, Großherzog Ernst Ludwig hat diese Gefahr schon früh erkannt und spielt hier eine wichtige Vermittlerrolle. In "
Wilhelm II.: Der Weg in den Abgrund 1900-1941" lesen wir:
Nach dem offenen Meinungsaustausch mit dem Zaren im Neuen Palais am 4. und 5. November 1910 konnte Wilhelm die Hoffnung aussprechen, "daß nunmehr deutsch-russische Beziehungen in günstigere Bahnen gelenkt seien .... Um die Gelegenheit beim Schopfe zu greifen, sagte sich Wilhelm am 11. November zu einem Besuch beim Zaren in Wolfsgarten an, wo er, wie der Gesandte von Jenisch berichtete, "den guten Eindruck, den er von freundlicher Gesinnung des Zaren in Potsdam gewonnen habe, ... wiederum bestätigen" konnte. "In längeren Gesprächen mit Zaren, dem auch Großherzog Ernst Ludwig und Prinz Heinrich beiwohnten, hat Seine Majestät unsere Flotten-Politik und unser Verhältnis zu England ausführlich erläutert ... ."
Wie gesagt, ich weiss nicht, wie lange Kaiser Wilhelm auf Schloß Wolfsgarten geblieben ist, vermutlich nicht lange. Ich kenne kein Bild von ihm direkt auf Wolfsgarten. Es gibt jedoch dieses
recht bekannte Gruppenbild, das in dieser Zeit aufgenommen wurde: Wir sehen die Großherzgliche Familie und die Zarenfamilie, nicht jedoch den deutschen Kaiser. Aber Prinz Heinrich von Preußen war dabei, mitsamt Frau Irene und deren Hofdame Fräulein von Oertzen. Heinrich war ein "Technik-Freak", der sich sehr für
Automobile, Kriegsschiffe und auch die aufkommende Fliegerei interessierte (und auch auf militärische Verwertbarkeit prüfte). Er war offenbar schon früher nach Hessen gekommen, denn er wollte bei August Euler in Griesheim seinen Flugschein machen. In der Zeitschrift "Flugsport" von 1910 lesen wir unter dem Titel "
Prinz Heinrich ist unter die Flieger gegangen":
... In aller Stille wurde bereits vor acht Tagen mit den Versuchen begonnen. ... Am Sonntag, den 13. November wurden die Flugversuche auf dem Euler-Flugfeld wieder aufgenommen. Nachdem der Prinz unter der Führung Eulers einen längeren Passagierflug über Bäume und Telegrafenstangen ausgeführt hatte, machte er allein einen Flug von 2 km. Kurz darauf traf Prinzessin Heinrich auf dem Flugplatz ein und unternahm mit Herrn Euler einen Passagierflug von etwas 20 km Länge. ... Die Prinzessin war entzückt von dem schönen Fluge. Daraufhin entführte Herr Euler die Hofdame Fräulein von Oertzen in die Luft, wobei der Truppenübungsplatz zweimal umkreist wurde. ..."
Nur wenige Tage später ist es dann
soweit, wie wir in der selben Zeitschrift lesen:
Das Flugmaschinenführer-Zeugnis erwarben: Prinz Heinrich von Preußen auf Euler am 19. November auf dem Euler-Flugplatz in Griesheim bei Darmstadt. ...
Man beachte das Bild zu dieser Meldung mit Prinz Heinrich und August Euler vor der Flugmaschinenhalle in Griesheim.
Auch nach dem Erwerb der Fluglizenz hat Prinz Heinrich in Griesheim Flüge unternommen, siehe "
Flugsport - Jahrgang 1911":
Prinz Heinrich führte am 13. April auf einer Euler-Maschine zwei längere Flüge aus. Der Prinz führte die Maschine, trotzdem er seit 5 Monaten nicht mehr geflogen war, mit großer Sicherheit. ... Weiter flog Prinz Heinrich am 15. April in Gegenwart des Großherzogs von Hessen, der Großherzogin von Hessen und der Prinzessin Heinrich von Preußen.
"Der Aufenthalt Prinz Heinrichs in Eulers Flugschule markiert ... leider indirekt das Ende der Unschuld der Fliegerei." schreibt durchaus passend Daniel Jünger zu diesem Thema, auch wenn ihm die Fluglizenz Heinrichs um ein Jahr verrutscht ist. Damit ist er allerdings nicht ganz allein. So gibt es das Bild des stolzen Lehrers Euler mit seinem adeligen Prüfling in mehreren Ausführungen und mit vielen Datierungen. So z.B. dieses Bild bei lagis-hessen, was dort nicht nur auf 1911 datiert wurde, sondern gleich auch nach Frankfurt verlegt wurde. Sicherlich sind alle diese Bilder bei der selben Situation entstanden wie das o.g., also in Griesheim und nicht nach 1910.