Wo gab es denn nun diese zwei Synagogen? Am besten sieht man das auf einem Vergleich von zwei Karten, leider aus unterschiedlichen Zeiten: 1866 vs. 1905 (Hier muss man ggf. ein wenig mit den Ebenen spielen). Alternativ sieht man diese Situation auf Bild 2. 1866 gibt es ein tatsächlich als "Synagoge" beschriftetes Gebäude auf dem Grundstück zur Kl. Ochsengasse 12, 1905 schon nach dem Altstadtdurchbruch ein ähnliches Gebäude im Hinterhof der Kl. Ochsengasse 14. Beide Gebäude waren ursprünglich nicht von aussen sichtbar, kein Wunder, daß es eigentlich keine Bilder davon gibt. O.g. Bild zeigt ein Gebäude ungefähr im Jahr 1905, das eben erst durch den Altstadtdurchbruch freigestellt wurde. Es ist nicht die "alte Synagoge von 1737".
Zwei Synagogen, so nahe beieinander? Nun könnte man glauben, im Gewimmel der Altstadt hätten sich die Kartografen ein wenig vertan. Allerdings sind die "Flurkarten von 1905" des Vermessungsamts über jeden Zweifel erhaben, und auch die Karte von 1866 ist mir an allen anderen Stellen als sehr zuverlässing und akkurat bekannt. Das Stadtlexikon hat nämlich vollkommen recht, durch die Spaltung der jüdischen Gemeinde gab es kurzzeitig zwei Gebetshäuser in Darmstadt, und zwar direkt nebeneinander!
Wie es dazu kam steht ausführlich im Buch "Alt-Darmstadt" von Wilhelm Diehl von 1913. (Ich danke dem Hinweisgeber hiermit ausdrücklich!) Diehl schreibt:Bis auf die Karte von 1799 haben wir leider keine weiteren Hinweise, wie diese Synagoge zunächst ausgesehen haben mag. In den Adressbücher finden wir sie allerdings an der bekannten Stelle, z.B. 1822: "District B, Nr. 39: Synagoge der Judenschaft".
Im Jahr 1842 jedenfalls wurde genau diese erste Synagoge umgestaltet. Das ist zwar nicht auf Karten und Darstellungen unmittelbar nachzuvollziehen, aber vermutlich bekommt sie da den Grundriss, den wir von 1866 kennen. Sie taucht auch weiterhin in den Adressbüchern auf: 1843 "Kleine Ochsengasse 39, Synagoge, Israelitische Gemeinde", 1845-1860 dto., 1863 "Kleine Ochsengasse 39, Der israelitischen Gemeinde gehörig. (Synagoge)". In diesem Handbuch für Reisende von 1846 ist die Synagoge mit "G" gekennzeichnet.
1863 / 1864 kam es jedoch zur einer Spaltung der judischen Gemeinde in Darmstadt. Diehl schreibt:Das ist also die Synagoge, die wir von o.g. Bild her kennen, sie liegt in der Kleinen Ochsengasse 14. Somit ist es nur die zweitälteste Synagoge in der Darmstädter Altstadt.
Eine zeitlang müssen die beiden Synagogen nebeneinander existiert haben. 1873 entschloß sich die orthodoxe Gemeinde zu einem Neubau in der Bleichstraße (zunächst noch ein schlichtes Gebäude, ab 1906 ein prächtiger Bau im Jugendstil), 1876 zog die liberale Gemeinde mit dem Neubau in der Friedrichstraße nach. Die alte Synagoge in der Kleinen Ochsengasse 12 wurde danach abgerissen. Diese Tatsache wird z.B. in dieser Karte von 1878 eingetragen. Das wohl eher wenig und kurz benutzte Gebethaus in der Nr. 14 bleibt jedoch etwas unter dem Radar. 1866 auf jeden Fall sehen wir seinen von obigem Bild bekannten Grundriss noch nicht. Erst nach dem Altstadtdurchbruch erscheint das Haus nun korrekt auf den Karten. Es wird dann offenbar vielfach fälschlicherweise für die Synagoge von 1737 gehalten.
Auch die Informationen in den Adressbüchern zu diesem zweiten Gebetshaus sind spärlich. Immerhin ist 1865 neben der Synagoge in der Nr. 12 nun neuerdings in der Nr. 14 ein "Rabinats-Candidat Löb Sulzbacher" zu finden, der zuvor nur in der Nr. 10 verzeichnet war. Sulzbacher war offenbar treibende Kraft bei der Abspaltung der orthodoxe Gruppe. Ab 1876 taucht dann der schon o.g. "May, Lippmann, Trödler" für die Nr. 14 auf. Wie das Gebetshaus von da an genutzt wird, ist mir nicht bekannt.
Im selben Jahr ist die Nr. 12 dann auch als der "Stadt Darmstadt gehörig" angegeben. Diese Synagoge dort wird in der Folge abgerissen, wann genau ist unklar, das Grundstück wird aber erst viele Jahre später beim Altstadtdurchbruch komplett geräumt. Hier ein paar Zeitungsartikel aus dem Jahr:
Zum Abschluß will ich noch verdeutlichen, daß unser fragliches Bild das durch den Altstadtdurchbruch freigestellt Haus darstellt, das wir auf den Karten von 1905 auf dem Grundstück Kleine Ochsengasse Nr. 14 sehen. Der Abbruch der Häuser drumherum ist noch nicht so weit fortgeschritten wie auf der Karte. Bei der Orientierung hilft uns dieses Bild aus der selben Zeit. Hier wird klar, daß wir uns auf dem freigeräumten Grundstück der Nr. 12 (also der längst nicht mehr existierenden ältesten Synagoge) befinden, wir schauen auf die Häuser Kleine Ochsengasse Nr. 9 und 11, die auch bald fallen werden. Auf den Bildern 5 und 6 ist das noch einmal mit einer Fluchtlinie verdeutlicht. Links am Bildrand ist eindeutig das "Gebetshaus" von 1864. Hier das Ganze ein wenig später, als der Altstadtdurchbruch weiter fortgeschritten ist. Und hier mit fertiggestellter Landgraf-Georg-Straße.
Das weitere Schicksal des orthodoxen Gebetshauses ist unklar. Es ist mir nicht bekannt, daß es etwa 1938 zerstört wurde. Möglicherweise war seine ehemalige Bestimmung nicht mehr bekannt. Nach dem Umzug der orthodoxen Gemeinde wurde das Gebäude vom jüdischen Eisenhändler Lippmann-May vermutlich als Lagerraum benutzt. Nach dem Altstadt-Durchbruch war es allerdings recht prominent an der Ecke der Landgraf-Georg-Straße sichtbar, hier auf einem Luftbild von 1936. Ob der markannte Bau als "jüdisch" wahrgenommen wurde und ggf. den Nazi ein Dorn im Auge war, ist reine Spekulation. Auf jeden Fall verschwindet es bis 1943, was dieses leider nicht exakt datierte Bild aus dem Stadtarchiv zeigt. Zumindest steht damit fest, das diese "orthodoxe Synagoge" nicht den Bomben zum Opfer gefallen ist.
Im Adressbuch finden wir 1933 noch "Kl. Ochsengasse 14, May, Lippmann, Firma, Lagerräume. May, Lippmann, Alteisen-, Metalle- u. Rohprodukten-Großhandlung. Auch 1937 ist das noch der Fall. Im Adressbuch 1940 taucht dann nur noch "Stadt Darmstadt" auf. Das letzte Inserat der Firma "Lippmann May" mit dieser Adresse im Darmstädter Tagblatt stammt vom 30.11.1932.![]() |
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