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Aus den Akten (7)


Als einer der Haupttäter bei der Zerstörung der Synagoge in Langen wird vielfach Ludwig Schwinn genannt, ein weiterer als besonders gewalttätig verrufener Nazi. Hier seine Aussagen von 1947:

Langen, 11.10.47 - Ludwig Schwinn, geb. 22.12.11 in Langen, wohnh. Giengen / a.d. Brenz, Steigstr. 8

Am Tage des Synagogenbrandes arbeitete ich als Angestellter auf dem Gaswerk in Langen. Am Vormittag (Uhrzeit kann ich heute nicht mehr angeben) beorderte mich der Ortsgruppenleiter Barth telefonisch aufs Rathaus. Er rief mich persönlich an, indem er sinngemäss die Worte gebrauchte: "Ludwig, ich brauche Dich in einer dringenden Sache und bringe dazu die Listen mit." (Bei den Listen handelt es sich um eine Evakuierungsgeschichte der Bevölkerung am Westwall.) Ich fuhr daraufhin, nachdem ich zuerst noch frühstückte, mit dem Fahrrad zum Rathaus. Auf der Fahrgasse, in Höhe des Geschäftes Bach, erfuhr ich durch Kinder, dass die Synagoge brennen würde. Ich fuhr trotzdem weiter zum Rathaus und traf B. am Treppenaufgang im Rathaus. Dort sagte mir B., dass die Synagoge brenne und aller Wahrscheinlichkeit nach angesteckt worden wäre. In Frankfurt und Umgebung sollten ebenfalls Synagogen brennen. Die weitere Unterhaltung zwischen uns kann ich heute nicht mehr angeben, jedenfalls wollte B. gerade zur Synagoge gehen und bat mich mitzugehen. Ich war damit einverstanden und begleitete ihn. Wie wir die Synagoge erreichten, schlugen die hellen Flammen heraus und die Feuerwehr traf die ersten Vorbereitungen zur Bekämpfung des Brandes. Ich habe mich dort um nichts gekümmert und bin nach einiger Zeit wieder mit B. zum Rathaus gegangen. Dort übertrug mir B. die Evakuierungsgeschichte der Bevölkerung am Westwall und ich verliess das Rathaus und begab mich zur Geschäftsstelle der NSDAP, wo ich bis spät in den Abend arbeitete.

Mit der Brandlegung bezw. Zerstörung der Synagoge habe ich nichts gemein. Ich vermute, dass es Sache der SA gewesen ist und vielleicht weitere Angaben der damalige Sturmführer Karl Döring, Langen, Wiesgässchen machen könnte.

Auf die eindringlichen Vorhaltungen des Vernehmenden hin bin ich nun bereit, ein volles Geständnis abzulegen:

Meine vorher gemachten Aussagen entsprechen nicht der Wahrheit. Ich habe dieselben lediglich im Interesse anderer Leute gemacht, um dieselben zu decken. Durch die Kriegsjahre und die anschliessende Internierungshaft bin ich körperlich in einem sehr schlechten Zustand. Ich leide an beiderseitiger offener Lungentuberkulose und mein Gedächtnis ist nicht mehr das alte. Vor allen Dingen kann ich mich heute nur noch sehr schlecht auf Namen und Einzelheiten besinnen. Zu der Zerstörung bezw. Brandlegung der Synagoge habe ich folgendes zu sagen: Am frühen Vormittag des Tages des Synagogenbrandes rief mich Barth telefonisch an und bat um mein sofortiges Kommen, da er für mich einen ehrenvollen Auftrag habe. Weitere Einzelheiten gab er mir am Telefon nicht. Ich fuhr sofort zu ihm, ob ins Rathaus oder seine Wohnung, kann ich heute mit Bestimmtheit nicht mehr angeben. Dort gab er mir den Auftrag, die Synagoge in Brand zu setzen. Er sagte sinngemäss etwa folgendes:

Ludwig, Du bist als alter Kämpfer von mir dazu ausersehen, die Synagoge in Brand zu setzen.

Auf Grund dieses Befehles begab ich mich zur Synagoge. Soweit ich mich entsinne ging B. mit mir. Ich habe dunkel in Erinnerung, dass ein Dritter dazukam und uns die Schlüssel brachte. Wir schlossen auf, oder ob der Dazukommende aufschloss, weiss ich nicht mehr. Ebenfalls kann ich seinen Namen nicht mehr angeben. Anschliessend betraten wir das Innere der Synagoge. Dort sahen wir uns die Geschichte an. Zwischenzeitlich wurde es in der Synagoge lebhafter. Stühle, Gebetbücher, Schränke usw. wurden umgerissen und zusammengeworfen. Die Namen der Leute sind mir heute entfallen. Falls dieselben mir bis zur Verhandlung wieder einfallen, werde ich dieselben benennen. Wie es nun zu der eingentlichen Brandlegung gekommen ist, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich gebe zu, dass ich an den Vorbereitungen zu der Brandlegung aktiv beteiligt war, wer das Streichholz anzündete, weiss ich nicht. Mit Bestimmtheit kann ich sagen, dass ich es nicht war.

Des weiteren möchte ich noch erwähnen, dass ich mit Barth längere Zeit nach dem Brande über denselben gesprochen habe, und dass ich daher B. gesagt habe: "Ich sollte seinerzeit die Brandlegung tätigen und habe es garnicht getan."

Abschliessend möchte ich nochmals kurz zusammenfassen. Der Ortsgruppenleiter Barth hat mir den Auftrag zur Brandlegung persönlich gegeben. Auf Grund dieses Befehles habe ich die Vorbereitungen getroffen. Gesetzesrollen im Innern der Synagoge zerrissen, jedoch habe ich nicht das Streichholz angezündet. Sollten mir weitere Einzelheiten einfallen, werden ich dieselben freiwillig zu Protokoll geben. Ich habe vorstehende Aussagen freiwillig und ohne jedlichen Zwang getätigt. Dieselben wurden mir vorgelesen und ich erkenne sie als die meinigen an.
Wenige Tage später fällt Schwinn offenbar doch noch etwas ein. Er schreibt:
Zu meinen Aussagen vom 11.10.1947 habe ich noch folgendes hinzuzufügen:

Nach eingehender Überlegung ist mir in Erinnerung gekommen, dass sehr wahrscheinlich die Synagoge schon geöffnet war, als ich mit Barth dort eintraf und eine ganze Anzahl von Leuten sich schon darin befanden. Eine Gesetzrolle hing mir schon kurz nach dem Eintritt von oben entgegen. Es müssen also noch andere Personen den Auftrag gleicher Natur gehabt haben und vermutlich war es Sturmführer Karl Döring mit seinen Leuten. Ich schätze die Zahl der in der Synagoge anwesend gewesenen Personen, die sich mehr oder weniger bei der Zerstörung der Synagoge betätigten, auf 10 Mann an der Zahl.

Weitere Einzalheiten sind mir inzwischen nicht mehr eingefallen.

Offenbach, den 15.10.47 gez. Ludwig Schwinn

Auch Ludwig Schwinn wird später wegen schweren Landfriedensbruchs zu 9 Monaten Haft verurteilt.


     
  Ruinen der Synagoge 1944  
     
Ruinen der Synagoge 1944


12.11.21 11:38 breiter Kristof [0 Kommentare]